Modelleisenbahn und Wirklichkeit

Waldweg
Waldweg

Den ersten Grundsatz ("Eine Modellbahnanlage soll ein Abbild der Wirklichkeit sein") zu verwirklichen, scheint auf den ersten Blick einfach zu sein. Die Praxis zeigt jedoch, dass es beim Modellbau nicht ohne Kompromisse abgehen kann. Diese Kompromisse müssen aber wohl bedacht sein, auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben und dürfen nicht als Störfaktoren auftreten.

An einigen Beispielen läßt sich dies anschaulich verdeutlichen:
Man kann den Maßstab der Modellfahrzeuge nicht einfach 1:1 auf die Längenausdehnung der Anlage übertragen.
Denn: Ein Zug von einem Meter Länge im Modell hat umgerechnet auch annähernd die Länge des Vorbildes, da die Fahrzeuge (im Idealfall) maßstabsgerecht verkleinert wurden.

Wie sieht nun dieser Zug in einem Bahnhof und wie sieht er auf freier Strecke, also in der Landschaft aus?
Es wird klar, dass die Gleisanlage des Bahnhofs so bemessen sein muss, dass der Zug auch hineinpasst. Ein- und Ausfahrweichen liegen dann frei, andere Zugfahrten können ohne Behinderung stattfinden. Die Länge des Zuges und die Länge des Bahnhofs sind also aufeinander abgestimmt, also direkt voneinander abhängig.

Sollen Schnellzüge oder lange Güterzüge auf einer Anlage verkehren und halten, muss die Längenausdehnung eines Bahnhofs diesem Wunsch angepasst sein. Beschränkt man sich aber auf einen Neben- oder Kleinbahnzug, kann demzufolge die Gleisanlage des Bahnhofes wesentlich kürzer sein.

Kritischer werden diese Längenmaße, überträgt man sie auf die Streckenlänge und somit auf die Landschaft. Hier können i.d.R. keine modellgerechten Abstände zwischen Vor- und Hauptsignalen, Kilometersteinen und Telegrafenmasten eingehalten werden (Vereins- bzw. Modulanlagen mal ausgenommen), und widersinnig wird es gar, wenn ein verhältnismäßig kurzer Schnellzug von vier Wagen, der im Modell bereits eine beachtliche Länge aufweist, durch die aufgestellten Kilometersteine auf 3 bis 4 km Länge markiert wird. Mit diesen Kilometersteinen liefert man somit auch einen ablesbaren Maßstab für Strecke und Landschaft.

Aus all dem wird deutlich, dass es trotz der Forderung nach Abbildung der Wirklichkeit ohne Konzessionen nicht abgehen kann. Nur müssen diese Konzessionen so gut kompensiert werden, dass sie zu keinerlei Störungen des Gesamtbildes führen und die Modellbahnanlage als Ganzes in sich stimmig bleibt.

Ein weiterer Gedanke sei hier noch erwähnt. Viele Mühe ist umsonst, viel Zeit und Liebe sind vertan, wenn bei der Anlagenplanung keine glückliche Synthese zwischen Landschaft und Gleisanlage gefunden wird. Es muss zwar versucht werden, Vorbilderscheinungen zu typischen Ausschnitten zu verdichten; es muss dabei aber stets auf eine gute Ausgewogenheit zwischen Gleis und Landschaft geachtet werden. Dann wird das Modell auch für den Betrachter greifbar und erhält einen Wiedererkennungswert. Es kann nur immer wieder betont werden, dass sich gerade hier in der Beschränkung der Meister zeigt. Mit Gleisen überladene Modellbahnanlagen, die nur spärlich Platz für landschaftliche Details zulassen, werden nie die beabsichtigte Wirkung beim Betrachter erzielen.

Das am Vorbild geschulte Auge ist unbestechlich; es sucht in jeder künstlichen oder auch künstlerischen Umsetzung der Wirklichkeit eine realistischen Darstellungsweise. Damit ist nicht gesagt, dass es darauf ankommt, die Realität nur zu kopieren. Man muss versuchen, das Vorbild nach seinen echten Bestandteilen darzustellen.

Das Wesentliche soll erkennbar sein. Es wird aber auf einer Modellbahnanlage in der Gesamtheit und im Detail gesehen. Daraus wird deutlich, welche Bedeutung der Auswahl und der Gestaltung zukommt, wenn eine Modellbahn ein Abbild der Wirklichkeit sein soll.

Kalksteinfelsen
Kalksteinfelsen

Von diesem Grundsatz lässt sich auch der zweite ("Eine Modellbahnanlage soll die motivische Einheit aller Elemente wahren") ableiten, dass nämlich nur ein einheitlich gestaltetes Motiv auf den Betrachter, egal ob Erbauer oder Besucher, die höchste Wirkung erzielt. Es müssen demzufolge alle relevanten Komponenten wie Epoche, Jahreszeit, Bahnverwaltung und regionaler Bezug zueinander passen.

Die motivische Einheit aller Elemente zu wahren ist oftmals nicht leicht, wenn im Laufe der Zeit Veränderungen an der Anlage vorgenommen werden, die nicht richtig durchdacht sind und dann diesem Grundsatz widersprechen.

So wie in der Realität die Technik völlig der Natur angepasst wird, so muss dies auch auf der Modellbahnanlage erkennbar sein. In einer Gebirgsgegend werden die für diese Landschaftsbedingungen gebauten Lokomotiven eingesetzt, und ein Bach wird nicht nach wenigen Zentimetern zum breiten Strom mit Schiffsverkehr. Manche Wagentypen verkehr(t)en nur in einer bestimmten Region, bzw. wurden eigens für diese konstruiert und ein kleiner Berg in einer flachen Landschaft muss nicht unbedingt mit einem Tunnel „bezwungen“ werden. Dies sind nur einige wenige Beispiele von den am häufigsten begangenen "Sünden", in die sowohl Anfänger als auch gestandene Modellbahner tappen, wenn sie versuchen alle möglichen, von der Zubehörindustrie angebotenen Ausgestaltungsgegenstände, wie Seilbahn, Riesenrad, Sägewerk, Feuerwehr usw., in die Anlage zu integrieren und damit mit Motiven überladen.

Daraus ist erkennbar: Alle Elemente müssen sich gegenseitig bedingen, müssen eine motivische Einheit bilden, so wie dies selbstredend in der Wirklichkeit der Fall ist. Auch wenn damit ein teils drastischer Umdenkprozess verbunden ist, nicht jeden angebotenen Zubehörartikel unbedingt zu verbauen, sieht er auch noch so toll aus.

Damit ist auch die Überleitung zum dritten Grundsatz gegeben, der sich zwangsläufig aus den ersten beiden ergibt:

Der dargestellte Wirklichkeitsausschnitt muss eine starke Aussagekraft besitzen und somit ideell-emotional ansprechen. Solche Vorbildwirkung im Modell zu erreichen, sollte Ziel eines jeden „Modell“-Eisenbahners sein.

Diese grundsätzlichen Gedanken, die im Modellbahnbau bei der Gestaltung eines Motivs beachtet werden müssen, zielen nun unter Berücksichtigung noch anderer Gegebenheiten auf eine konkrete Auswahl von Thema, Zeit und Ort, die letztlich in allen wiedergegebenen Einzelheiten auf der Anlage erkennbar sein müssen. Dabei sollten diese Bezüge so deutlich werden, dass der im Modell dargestellte Charakter einer bestimmten Epoche jedem Betrachter nahe gebracht werden kann. Mit dieser Umsetzung schafft man gleichzeitig ein Stück Zeit- bzw. Eisenbahngeschichte und bewahrt es für die Zukunft.

Damit wird auch eine Modellbahnanlage folgerichtig von einer Spieleisenbahn abgegrenzt, die weder den Betrachter noch den Erbauer bereichert.